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Uraufführung mit dem SWR Vokalensemble Stuttgart

Bild: Holger Heimsch

Gelungene Uraufführung des Auftragswerks “Voices – Stimmen” von Christian Wolff mit dem SWR Vokalensemble Stuttgart im Rahmen des Eclat Musikfestivals am 09.02.2019 im Theaterhaus in Stuttgart.

Video unter SWR classic

https://www.swr.de/swrclassic/swr-webconcerts-vokalensemble-eclat-pelzel-wolff,av-o1096207-100.html

Uraufführung auf Augenhöhe
Badischer Jugendchor sang Uraufführung mit dem SWR Vokalensemble in Stuttgart

Dorothea Bossert & Holger Frank Heimsch

Stuttgart –Zum ersten Mal hat das SWR Vokalensemble beim Neue-Musik-Festival ECLAT eine Uraufführung zusammen mit seinem Patenchor gesungen. Die Komposition mit dem Titel „Voices“ hat die amerikanische Komponistenlegende Christian Wolff eigens für diesen Anlass konzipiert: ein doppelchöriges Werk für Profi- und Laienchor. Neuland für den Badischen Jugendchor. Ein Experiment für den SWR. Lang anhaltender Applaus im ausverkauften Theaterhaus Stuttgart.

Diese Uraufführung hatte es in sich. Zwanzig Minuten Chormusik a cappella, geschrieben für zwei Chöre, das SWR Vokalensemble und seinen Patenchor der Saison 2018/19, den Badischen Jugendchor. Stunden- und tagelang hatten die jungen Sängerinnen und Sänger geübt und an ihrer Partie gefeilt, bis alles sicher saß. Und auch die Profis vom SWR Vokalensembles hatten ordentlich zu tun, denn die Partitur steckte immer wieder voller Überraschungen. „Der vokale Satz ist relativ sperrig. Das ist ein atonaler Satz. Und wie bei der Musik von Arnold Schönberg muss man auch hier üben, üben, üben, bis das wirklich völlig glatt und selbstverständlich kommt“, sagte Rupert Huber, Dirigent des Werkes. Er ist ein ist ein Kenner und Könner der Neuen Musik und ein leidenschaftlicher Kämpfer für das Neue. Allein in seiner Zeit als Chefdirigent des SWR Vokalensembles hat er etwa 100 Chorwerke aus der Taufe gehoben.

Mit hoher Konzentration und Effizienz hat er mit dem badischen Jugendchor gearbeitet, auf Augenhöhe, wie mit den Profis und hat die jungen Sängerinnen und Sänger mit Humor und ansteckender Motivation durch die anspruchsvolle Partitur geführt. Die Musik von Christian Wolff ist ihm dabei ein ganz besonderes Anliegen: „Christian Wolff ist ein stiller Typ, nicht so medienwirksam wie John Cage es war. Aber er ist wenigstens genauso revolutionär in seinen Ideen. Und die Musik, die er hier für uns geschrieben hat, ist sehr hintergründig – ganz still und zart und trotzdem unglaublich irritierend – dabei immer substanziell.“

Christian Wolff, Sohn des Verlegers Kurt Wolff (des ersten Verlegers von Franz Kafka), kam mit seiner Familie auf der Flucht vor den Nazis in den 1950er Jahren in New York an. Bereits im Alter von 16 Jahren verkehrte er mit den jungen Wilden der New Yorker Kulturszene. Zu seinen Freunden zählten die Komponisten John Cage und Morton Feldman, der Pianist David Tudor und der Tänzer Merce Cunningham, dazu Künstler wie Robert Rauschenberg – in den 50er bis 70er Jahren krempelte die Gruppe als „New York School“ die Kunstszene um – auch in Europa. Heute ist Christian Wolff 85 Jahre alt und blickt mit dieser Komposition zurück auf ein langes kreatives Leben.

Seine Komposition „Voices“ sieht er als eine vokale Landschaft, in der Gedichte von Georg Trakl, Rainer Maria Rilke und Ingeborg Bachmann wie Flüsse und Seen Halt und Struktur geben. Es gibt konventionell notierte Partien, in denen die beiden Chöre sich abwechseln oder ergänzen. Für den Badischen Jugendchor hatte Christian Wolff viele Stellen so konzipiert, dass die jungen Sängerinnen und Sänger die Musik mit ihren individuellen Entscheidungen mitgestalten konnten, etwa welche Tonhöhen oder Motivvariante sie wählen oder wann sie das notierte Motiv in den musikalischen Satz einbringen. Häufig konnten sie dabei auch solistisch hervortreten, etwa in kurzen Duetten, bei denen jeweils zwei Sänger singend aufeinander reagieren. Pfeiftöne und Geräuschfelder sorgten für einen farbenreichen Chorklang und eine virtuose achtstimmige Klatsch- Percussioneinlage für Spannung. Zwischendurch scheinen immer wieder „gefundene“ Materialien auf, wie den Kanon „Dona nobis pacem“, der plötzlich einem Rilke-Gedicht als musikalische Unterlage dient. Oder Fragmente aus Bachs Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“ und Hanns Eislers „Friedenslied“, die die Sänger am Schluss zu einer über sechzigstimmigen frei und ohne Dirigent gestalteten Klangskulptur auftürmten.

Für den Badischen Jugendchor und seinen Chorleiter Matthias Böhringer war das spannendes Neuland. „Wir blicken auf eine intensive Arbeitsphase zurück. Zunächst hatten wir alle Angst vor den neuen Klängen und vor dem Scheitern. Doch die Neugierde war größer und hat uns durch das Projekt getragen.“ Böhringer, der vor 10 Jahren den Chor mitbegründet hat, sieht die Patenschaft als bleibende und für die Zukunft wegweisende Erfahrung. „Die Hauptmotivation liegt darin, dass man sich hier trauen kann, Werke anzugehen, die man sich sonst nie zutrauen würde. Die Neugierde für neue Klänge und andere Strukturen ist eine bleibende Erfahrung und kann bei uns im Chor die Arbeit für neues Repertoire sehr erleichtern.

Auch Birgit Kipfer, Vorsitzende der Freunde und Förderer des SWR Vokalensembles e.V., sieht in der Förderung junger Ensembles großes Potential. „ Jeder Chor, der mit dem SWR Vokalensemble in Verbindung tritt, ist uns willkommen. Es ist uns wichtig, dass die jungen Menschen frühzeitig mit professioneller zeitgenössischer Chormusik in Kontakt kommen.“

„Ich denke, dass besonders für den Chor und auch für die einzelnen Chormitglieder die neu gewonnen Erkenntnisse aus der Zusammenarbeit mit den Profis auch in die Chöre des Badischen Chorverbandes strahlen wird.“ so Maria Löhlein-Mader, Vizepräsidentin des Badischen Chorverbandes.

Infobox: Das Konzert ist ab 15.2.2019 als Video On Demand unter SWRClassic.de
Ein Bildergalerie des Konzerts gibt es auf der Seite der Freunde und Förderer des SWR Vokalensembles e.V.: www.ve-foerderverein.de